Sell in May – Eine Analyse der saisonalen Anomalie und ihre aktuelle Relevanz

Was bedeutet „Sell in May“?

„Sell in May and go away“ gehört zu den bekanntesten saisonalen Börsenweisheiten. Die Theorie besagt, dass Anleger – insbesondere im Aktienbereich – traditionell in den Monaten von Mai bis September geringere Renditen erzielen als im übrigen Jahr. Dieses Phänomen beruht auf der Beobachtung historischer Kursverläufe, wonach in diesen Monaten häufig niedrigere Renditen, höhere Volatilität oder gar Abwärtstrends gemessen wurden. Zahlreiche Studien und fundierte Finanzliteratur weisen darauf hin, dass saisonale Effekte wie diese in unterschiedlichen Marktphasen – etwa in steigenden Aktienmärkten (Bullenmarkt) und fallenden Aktienmärkten (Bärenmärkten) – unterschiedlich stark ausgeprägt sein können. Dabei kann der Einsatz von technischen Indikatoren, wie etwa der 200-Tages-Linie, wertvolle Hinweise darauf geben, ob der Markt aktuell in einer risikoreichen Phase steckt oder ob sich Trendstärken aufbauen.

Historische Grundlagen und Analyse – Der HSBC-Artikel als Referenz

Der von HSBC veröffentlichte Artikel liefert dabei eine spannende vertiefte Analyse. Anhand umfangreicher Daten seit den 1920er-Jahren wird gezeigt, dass der S&P 500 in den letzten 100 Jahren in 31 Fällen per 1. Mai unterhalb seiner 200-Tages-Linie notierte. In diesen sog. „Baisse-Jahren“ lag die Performance von Anfang Mai bis Ende September im Durchschnitt bei leicht negativen –0,44 %, während in Jahren mit einer bullischen Ausgangslage eine durchschnittliche Aufwertung von +2,94 % beobachtet wurde. Außerdem verdeutlicht die Analyse, dass in einem negativen Trend besonders in der Zeit von Anfang Mai bis Mitte Juni ein Abwärtsimpuls von ca. –3,11 % entsteht und die typische September-Delle um 3,6 % stärker ausfällt als in Bullenmärkten. Diese differenzierte Betrachtung untermauert, dass saisonale Effekte nicht als pauschaler Anlageindikator, sondern in Verbindung mit der aktuellen Trendkomponente – etwa dem Verhältnis zur 200-Tages-Linie – betrachtet werden sollten.

Die aktuelle Kapitalmarktlage: Relevanz der Saisonaleffekte im Jahr 2025

Auch im Jahr 2025 zeichnet sich laut Analyse der HSBC ein interessantes Bild ab. Obwohl die jüngste Kurserholung schon sehr weit fortgeschritten war, befinden sich die amerikanischen Standardwerte am 1. Mai unterhalb der 200-Tages-Linie (derzeit circa 5.747 Punkte). Dieser technische Indikator signalisiert in der Regel einen Abwärtstrend und verleiht dem bekannten „Sell in May“-Slogan eine zusätzliche Warnkraft. Anleger sollten daher nicht nur auf allgemeine saisonale Muster vertrauen, sondern auch auf den aktuellen Trendstatus – denn ein bestehender Baissetrend kann den traditionellen saisonalen Abschwung verstärken.

Hintergrund aus der Finanzliteratur

A Random Walk Down Wall Street

In seinem Buch A Random Walk Down Wall Street erklärt Burton Malkiel, dass die Kursbewegungen an den Finanzmärkten oft zufällig erscheinen. Er argumentiert, dass es – selbst bei sorgfältiger technischer Analyse – kaum möglich ist, den Markt dauerhaft und systematisch zu schlagen. Zwar liefern historische Daten wie das Sell-in-May-Phänomen interessante Einblicke, jedoch lauten die Lehren aus Malkiels Werk: Eine passive, diversifizierte Anlagestrategie ist meist die nachhaltigere Entscheidung.

Markteffizienz und die Adaptive Market Hypothesis

Die Theorie der Markteffizienz besagt, dass alle verfügbaren Informationen bereits in den Kursen enthalten sind und es somit schwierig ist, dauerhaft überdurchschnittliche Renditen zu erzielen. Andrew Lo erweiterte diesen Gedankengang mit seiner Adaptive Market Hypothesis. Er erklärt, dass Märkte sich ständig an neue Bedingungen anpassen – was auch bedeutet, dass saisonale Trends wie „Sell in May“ nicht in Stein gemeißelt, sondern in einem dynamischen Umfeld zu sehen sind. Für Einsteiger heißt das: Auch wenn bestimmte Muster in der Vergangenheit beobachtet wurden, sind sie immer nur ein Hinweis und kein verlässlicher Garant für zukünftige Entwicklungen.

Ausblick: Chancen und Risiken im Übergang in den Herbst

Während die saisonale Weisheit häufig dazu auffordert, die Märkte im Mai zu verlassen, darf man den Blick nach dem Sommer nicht vernachlässigen. Die bekannte Aufforderung „but remember to come back in September“ erinnert daran, dass sich Märkte üblicherweise nach der saisonalen Schwäche wieder erholen.
Für 2025 bedeutet dies: Auch wenn die technischen Indikatoren einen Abwärtstrend nahelegen, könnte der Herbst – vor dem Hintergrund von eventuellen fundamentalen Verbesserungen und kurzfristigen Marktimpulsen – die nötigen Voraussetzungen für ein positives Gesamtjahr bieten. Daher ist es für Anleger zentral, flexibel zu agieren und nicht blind auf Börsenweisheiten zu vertrauen.

Quelle:
HSBC Daily Trading vom 9. Mai 2025
Aktiencheck.de: Sell in May Chartanalyse vom 9. Mai 2025

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